Sales, Pre-Sales und Produktmanagement in der idealen Welt
In der idealen Welt, gibt es eine klare Vision für ein Produkt und auch eine Strategie, wie die Vision erreicht werden soll. Es entstehen erste Versionen eines Produktes und diese werden bereits direkt bei Kunden eingesetzt und erprobt und das Feedback fließt sofort auf die eine oder andere Art in die weitere Entwicklung ein oder wirkt sich in der Strategie aus. In einer frühen Phase der Produktgeschichte führen die Erkenntnisse ggf. sogar zu einer Anpassung der Produktvision.
Wenn ein gewisser Funktionsumfang erreicht ist und das Produkt einen gewissen Mehrwert beim Kunden erzeugen kann, beginnt der Vertrieb bereits das Produkt zu verkaufen. Potenziell noch nicht an den gesamten avisierten Markt aber in einen Teil davon, bei dem die Kunden auch wirklich als Early Adaptor damit umgehen können, wenn es eventuell noch die ein oder andere Unzulänglichkeit gibt. Das Produktmanagement wird in dieser frühen Phase auch oft die Kundengespräche begleiten und sich dadurch ein genaues Bild darüber machen, wie der Produkt-Market-Fit aussieht und welche Schwachstellen durch den Kunden angesprochen werden.
Bei komplexeren erklärungsbedürftigen Produkten oder bei Produkten, die ein Bauteil einer größeren Gesamtlösung sind, sind Vertriebsaktivitäten länger, mühseliger und werden oft aufgrund des technischen Tiefgangs der Gespräche, von sogenannten Pre-Sales Ingenieuren begleitet. Diese helfen z.B. bei der exakten Anforderungsanalyse, Erstellung einer System-Architektur und führen auch manchmal ganze Machbarkeitsstudien in Form von Prototyp Entwicklungen durch. Sie kennen die Fähigkeiten und auch Grenzen des eigenen Produktes und bekommen andererseits auch die Änderungswünsche des Kunden aus erster Hand mit. Sie werden dadurch also zu dem verlängerten Arm des Produktmanagements, zu dessen Augen und Ohren. Sie können den eigenen Vertrieb bremsen, wenn zu früh dem Kunden Änderungen versprochen werden, die so noch gar nicht mit dem Produktmanagement abgestimmt sind, und auf der anderen Seite auch Gas geben, wenn sie eine Lösung ersinnen, wie das eigene Produkt as-is bereits sinnvoll zum Einsatz kommen könnte.
In der nicht ganz so idealen Welt, nennen wir sie mal "Realität", klappt das geschilderte Zusammenspiel leider manchmal nicht so gut. Gründe dafür sind oft:
1. Erkenntnisse aus Vertriebsgesprächen landen nicht beim Produktmanagement und/oder das Produktmanagement ist in der frühen Phase des Produktlebenszyklus zu wenig in Sales-Aktivitäten involviert.
2. Sales-Mitarbeiter möchten "die paar kleinen Anpassungswünsche des Kunden" gerne einfach durchgewunken bekommen, damit der Vertragsabschluss erzielt werden kann und machen dies ggf. einfach auf eigene Faust. Siehe dazu auch meinen letzten Artikel: "Der Kunde ist auf keinen Fall König"
3. Bei komplexeren Produkten kommt als möglicher Grund noch hinzu, dass es keine Pre-Sales Mitarbeiter gibt.
Bei den Gründen 1. und 2. ist natürlich nicht offensichtlich, warum es überhaupt dazu kommt. Einerseits kann es einfach viel mehr Sales-Mitarbeiter und Kundengespräche geben, sodass das Produktmanagement nicht in der Lage ist, alle Termine zu begleiten. Anderseits existiert im Vertrieb leider oft ein Gehaltsbonus, der an den Umsatz durch Vertragsabschlüsse gekoppelt ist. Da sind Änderungswünsche, die das Produktmanagement ablehnt, da sie z.B. gar nicht zur Produktvision und Strategie passen, sehr störend und es ist klar, dass ein Interessenkonflikt existiert. Wenn der Vertrieb eine eigene Abteilung ist und dann auch noch die Pre-Sales Mitarbeiter direkt dazu gehören, verstärkt sich bei diesen dieser Interessenkonflikt noch weiter und sie werden zum Spielball zwischen Vertrieb und Produktmanagement.
Auch in großen Organisationsstrukturen lassen sich diese Gründe und Probleme allerdings recht einfach vermeiden. Wie so oft ist eine gute Kommunikation und Wissensaustausch der beste Problemlöser. In einer agilen Struktur ist z.B. dringend angeraten, dass Sales und Pre-Sales auch wirklich in die iterative Entwicklung eingebunden werden. So kennen alle die Produktvision und die Strategie, wie die Vision umgesetzt werden soll, und können bereits selbst sehr gut beurteilen, inwieweit Änderungswünsche des Kunden dazu passen oder nicht. Auf dieselbe Weise können Vertrieb- und Pre-Sales-Kollegen auch ihre Anregungen direkt beim Team erläutern.
In einer eher klassischen Organisationsstruktur muss das Produktmanagement dafür sorgen, dass es zu solchem Austausch kommt und dies am besten regelmäßig.
Last, but not least, sollte man aus genannten Gründen sich auch sehr genau überlegen, welche finanziellen Anreize man Vertriebskollegen macht. Bonus für gute Leistung, klar, aber es darf kein Interessenkonflikt zu anderen Abteilungen provoziert werden.