Wer sich mit moderner Produktentwicklung beschäftigt, der kommt insbesondere bei Softwareprodukten seit einigen Jahren nicht mehr an Begriffen wie product discovery, design thinking, agile, Scrum usw. vorbei. Es handelt sich dabei um Anleitungen, Vorlagen, Frameworks oder auch Strategien und Denkansätze, um letztlich ein einziges Ziel zu erreichen und das ist, ein erfolgreiches Produkt an den Markt zu bringen, das dessen Nutzern einen echten Mehrwert bietet.
Ein enger Kontakt zu den Kunden, gilt daher als unerlässlich: Informationen über die Art der Verwendung des Produktes, was am Produkt noch besser werden sollte und welche Features fehlen, werden zusammengetragen. Es werden customer surveys durchgeführt, der Kunde kann direkt im Produkt Feedback geben, Produktmanager, Projektverantwortliche und Sales Mitarbeiter führen customer interviews durch usw. Der Kunde ist König und bekommt was er möchte, so scheint das bedingungslose Motto und die Essenz der Ratgeber.
Andererseits lernt jeder Produktmanager, dass nur auf die Kunden zu hören, nicht zu einem stringenten kohärenten Produkt führt. Es ist wie schon Henry Ford oder auch Steve Jobs gesagt haben: "If I would have asked our customers they have voted for more horses" und "A lot of people don't know what they want until you show it to them."
Offensichtlich stehen sich zwei Extrempositionen wiedersprüchlich gegenüber: "Der Kunde ist König" auf der einen Seite und "Der Kunde weiß nicht, was er will" auf der anderen Seite. Was ist nun richtig?
1. Nicht ein Kunde ist König sondern die Kunden sind König(e). Plural. Es gilt, sich die Anregungen, Meinungen, Kritiken möglichst vieler Kunden anzuhören und nicht nur eines Einzigen.
2. Eine Anregung eines Kunden ist noch lange keine Anforderung. Die Kunst ist, dem Problem auf den Grund zu gehen und herauszuarbeiten, warum der Kunde diese Anregung hat. Oft liegt ein grundlegenderes Problem vor als der Kunde selbst realisiert. Dessen Lösung wiederum, würde ggf. vielen Kunden nützen und nicht nur dem Einen.
3. Vorschläge des Kunden müssen zur Produktvision und Produktstrategie passen. Letztere geben den Rahmen vor und dienen der Orientierung und Bewertung.
4. Die Produktvision kommt nicht von Kunden. Sie kommt bestenfalls vom Markt, ist aber im Allgemeinen viel weitsichtiger und fundamentaler und nicht nur eine Sammlung von Anforderungen in einem Kontext. Genau hierauf zahlen die Zitate von Henry Ford und Steve Jobs ein.
Wer Begriffe aus der agilen Welt im Kontext von Projekten anwendet, der sieht zusätzlich durch Erklärungen aus folgendem Artikel noch klarer, wie sich Agiles Projektmanagement von echter Agilität unterscheidet: https://wolfgangroemer.substack.com/p/wenn-die-umsetzung-zum-produkt-wird