Jetzt ist es schon fast 7 Jahre her, dass ich bei einem früheren Arbeitgeber mit dem Problem betraut war, aus mehreren schon bestehenden Scrum Teams Personen auszusuchen und aus ihnen ein neues Scrum Team für ein ganz neues Produkt zu bilden. Ein Ex-Kollege erinnerte sich jüngst daran und fragte mich nun nach den Details von damals, da er das Verfahren nun auch einsetzen möchte.
Hier die Randbedingungen, die damals vorgegeben waren:
Die bestehenden Teams waren für zwei Produkte verantwortlich. Ein klassisches Scrum Team für eines der beiden Produkte und drei weitere Teams im Large-Scale Scrum Ansatz (kurz „LeSS“) für das zweite Produkt. Diese beiden schon existierenden Teams sollten möglichst cross-funktional bleiben und nahtlos weiterarbeiten können.
Der Scrum Master und der Product Owner für das neue Produktteam standen schon fest.
Das neue Team sollte möglichst vom Start weg auch cross-funktional sein.
Ein Scrum Master Kollege und ich starteten damit, dass wir die vier bestehenden Teams über das neue Produkt und die anstehende Teambildung informierten und alle Teammitglieder aufforderten, sich bei Interesse intern formlos dafür zu bewerben. Es war klar und stand für uns außer Frage, dass wir keine Personen herauspicken würden. Das neue Team sollte sich möglichst von allein aus Freiwilligen finden.
Die heiklen Fragen waren, wer aus den Bewerben auswählen sollte, wer das letzte Wort haben würde, wie wir dafür sorgen würden, dass sich alle fair berücksichtigt fühlen und last, but not least, wie stellen wir sicher, dass danach alle fünf Produktteams auch wirklich funktional sind und alle Kollegen mit der Entscheidung möglichst einverstanden sind?
Während die „Bewerbungen“ langsam reinkamen, waren mein Scrum Master Kollege und ich weiter etwas ratlos, wie wir die Ziele erreichen könnten. Team-Building Workshops kannten wir von der Scrum Einführung in unserem Unternehmen, aber damals waren ganz andere Grundvoraussetzungen und Randbedingungen gegeben gewesen
Mein Kollege und ich grübelten gemeinsam während der Arbeitszeit darüber und diskutierten und jeder von uns nahm in dieser Phase leider ganz schön viel Anspannung mit nach Hause. Eines Abends erzählte mir meine Tochter von einem anstehenden Landheimaufenthalt mit ihrer Schulklasse und dabei stellte sie sehr einleuchtend fest, dass das blöde daran sei, dass man sich einigen müsste, wer mit wem in ein Zimmer geht und dass man niemanden vor den Kopf stoßen möchte, aber auch nicht den Aufenthalt aufgrund unliebsamer Zimmergenossen ruinieren will.
Diese Aussage hallte noch die ganze Nacht in meinem Kopf nach und an Schlaf war nicht zu denken: eigentlich hatte meine Tochter und ihre Klassenkameraden ein ähnliches Problem, wie wir in der Firma. Die Erkenntnis reifte, dass sichergestellt sein musste, dass Personen sich zu dem Thema anonym äußern können, denn es würde eventuell zu Teamkonstellationen kommen, bei denen Bewerber einen Rückzieher würden machen wollen, denn es könnten Personen dabei sein, mit denen man eben nicht in ein Zimmer bzw. in ein Team möchte.
Das war die Lösung: Wir mussten allen Bewerbern die Möglichkeit geben, selbst Teamkonstellationen aufzustellen und allen Bewerbern auch wiederrum die Möglichkeit geben, Zusammenstellungen, die ihnen nicht recht waren, zu verwerfen und all das eben anonym!
Umgesetzt haben wir diesen Ansatz dann entsprechend wie folgt:
Alle internen Bewerber wurden in einen Raum gebeten. Das neue Team sollte, neben den schon bekannten Personen für Scrum Master und Produkt Owner, aus drei Entwicklern und einem Tester bestehen. Entsprechend bekamen die Bewerber die Aufgabe, anonym auf einen Zettel die Namen der vier Personen für das neue Team zu schreiben, die sie persönlich als ein gut funktionierendes Team ansehen würden. Ob sie sich dabei selbst nannten oder nicht, war explizit freigestellt. Die resultierenden Zettel mit den vorgeschlagenen Teamkonstellationen wurden eingesammelt und anschließend verließen die Bewerber den Raum. Ein unabhängiger Moderator sichtete alle Zettel und sortierte ungültige und Duplikate aus. Dann wurde alphabetisch jeder einzelne Bewerber zurück in den Raum zum Moderator gebeten und bekam alle Zettel präsentiert, auf denen sein Name erwähnt wurde und nur diese! Er wurde auch hereingebeten, falls es gar keine Zettel mit seinem Namen darauf mehr gab. Jetzt konnte dieser Kandidat in Ruhe kommentarlos von den gezeigten Zetteln alle vernichten, die er vernichten wollte. Dies wurde, wie gesagt, mit jedem Kandidaten einzeln durchgeführt, bis alle dran gewesen waren. Die verbliebenen Konstellationen wurden gesichtet und es blieben, lediglich zwei übrig, die sich auch nur noch in einer einzigen Position unterschieden. Das Ergebnis wurde allen Kandidaten mitgeteilt. Alle Teilnehmer freuten sich über die Durchführung und das Ergebnis, weil es vor allem sehr fair gewesen sei. Es war ein leichtes, aus den gefundenen zwei Varianten eine auszuwählen, mit der alle, ja alle, happy waren.
Erfolgsfaktoren waren aus meiner Sicht die Anonymität beim eigenen „Gesamt-Team-Vorschlag“ und die Anonymität beim Vernichten von Varianten, an denen man als Kandidat beteiligt wäre. Ob Zettel bereits von Vorgängern eliminiert worden waren, erfuhren die Kandidaten in den Einzelgesprächen nicht. Sie mussten ihre Entscheidung zum Vernichten von Vorschlägen nicht begründen. Manche Kandidaten bekamen natürlich leider gar keine Zettel mehr präsentiert. Dies war aber bei näherem Betrachten auch nicht völlig tragisch: Alle Zettel mit dem eigenen Namen konnten ja auch wegen eines anderen Namens bereits eliminiert worden sein. Es musste ja eben gerade nicht wegen einem selbst sein. Jeder hatte die anonyme Möglichkeit auch sich selbst komplett aus der Gleichung zu entfernen. Ein sehr wichtiger anonymer „Opt-Out“ Faktor!